„Sturmtaucherin“ von Leonie Ferner

Nach dem Tod ihres Ersatzvaters begibt sich Kimberly auf die Suche nach dessen Sohn, um diesen mit ein paar unangenehmen Wahrheiten zu konfrontieren.

Das Zusammentreffen der beiden setzt eine Reihe von Ereignissen in Gang, die das Leben aller Beteiligten grundlegend verändern.

Ein Liebesroman.

Kindle | Taschenbuch

Irgendwann wird jemand vor meiner Tür stehen und die Wahrheit einfordern. Aber ich kenne die Wahrheit nicht. Ich weiß nur, was ich selbst erlebt und gedacht habe.
Es war ein klarer Märztag im letzten Frühjahr, als ich nach München fuhr. Nicht aus Neugier, sondern um zu strafen. Der Himmel war weiß-blau, wie es sich für Bayern gehört.
Gerald lag zu dieser Zeit schon seit sechs Wochen unter der Erde.
Hotels der gehobenen Klasse kannte ich bisher allenfalls aus der Lektüre dicker Romane, und so ist es wenig verwunderlich, dass ich nicht mit der gebotenen Selbstsicherheit vor dem sehr jungen Menschen stand, der sich hinter seiner Empfangstheke mit keinem Wimpernzucken anmerken ließ, dass er meine Unsicherheit bemerkte.
Schon die Lobby des Hotels war nicht dazu angetan, schüchterne Menschen aufzumuntern. Nun gehöre ich zwar nicht unbedingt zu diesem Menschenschlag, aber die elegante Mischung aus Holz, Glas und Marmor beeindruckte mich tief.
„Sie haben reserviert?“
Ich riss mich zusammen.
„Kimberly Lewis“, antwortete ich wahrheitsgemäß, denn es gab zu diesem Zeitpunkt noch keinen Grund, meine Identität zu verschleiern, und als es so weit war, war es sowieso zu spät.
„Ja. Ich sehe schon. Die weiße Suite. Dürfen wir Ihr Gepäck nach oben bringen, Frau Lewis?“
Mein Gepäck bestand aus einem kleinen Rollkoffer, denn ich hatte nicht die Absicht, lange zu bleiben.
Eines musste noch erledigt werden, bevor mein selbst gewählter Feldzug beginnen konnte. Es war einfacher, als ich gedacht hatte. Der junge Mann erteilte mir die Auskunft ohne Bedenken, nicht ahnend, dass er damit ein Rad in Bewegung setzte, das sich nicht mehr aufhalten ließ. Wer vermutet schon hinter dem ungeübten Auftreten einer Fünfundzwanzigjährigen eine Intrige.
Nein, Herr Sanders sei noch nicht eingetroffen. Man erwarte ihn aber in zwei bis drei Tagen.
Ich hatte eine kleine Suite gebucht und mich auf Nachfrage spontan für die Farbe Weiß entschieden. Und so war sie dann auch. Boden, Wände, Vorhänge, Bad – alles weiß. Aber von steriler Krankenhausatmosphäre keine Spur. Äußerst geschmackvoll verteilte Farbtupfer sorgten für eine eher heitere Stimmung. Van Goghs Sternennacht an der Wand, gelbe Tulpen in verschiedenen sattgrünen Vasen, blaue Vorhangkordeln, rote Handtücher und blaue Sprossenfenster leuchteten mir entgegen.
Ich sah mich zufrieden um. Eine aus einem spontanen Wutanfall geborene Idee nahm immer konkretere Formen an. Schon der Detektiv war etwas gewesen, was mit meinem bisherigen Leben absolut nichts zu tun hatte und was ich sogar meiner Mutter verheimlicht hatte. Fast war ich selbst ein wenig neugierig, wohin mich dieses Abenteuer führen würde.
Das Auspacken ging schnell. Anschließend stürzte ich mich ins Großstadtgetümmel.

Da mein Opfer noch nicht anwesend war, zog mich nichts ins Hotel zurück.

Gegen zehn Uhr kehrte ich ins Hotel zurück. Ein neuer Portier hatte seine Schicht begonnen. In der Vorfreude auf ein bis zwei Lesestunden vor dem Schlafengehen stellte ich mich noch kurz unter die Dusche und genoss die dampfende Hitze, die meine müden Glieder wohlig entspannte.
Nass, wie ich war, hüllte ich mich anschließend in den bereitliegenden weißen Bademantel, griff nach einem Handtuch und begann, mir die Haare trocken zu rubbeln, während ich ins Wohnzimmer trat.
Ich weiß nicht, was mich gewarnt hat. Jedenfalls blieb ich plötzlich stehen und blickte unter meinem Handtuch hervor.
Er stand in der Eingangstür. Beide Hände in den Hosentaschen und mit der rechten Schulter leicht an den Türrahmen gelehnt. Dunkles, kurzes Haar, schwarze Designerjeans, weißes Hemd, schwarze Leinenjacke und einen Ausdruck im Gesicht, der alles bedeuten konnte.
Ein dunkler Schatten in meinem hellen Reich.

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