Alex ist ein 58 Jahre alter Schriftsteller, der durch Zufall wieder mit Personen aus der Vergangenheit in Kontakt kommt. Die Aufarbeitung der damit verbundenen Ereignisse kommt ihm eigentlich gar nicht gelegen, da er gerade einen Roman schreiben will, um Geld zu verdienen. Allerdings hat er gerade eine Schreibblockade, die er überwinden möchte.
Er stellt sich der Vergangenheit und erinnert sich an seine Jugendliebe Tina. Die wird jedoch seit Jahren vermisst und könnte sogar einem Verbrechnen zum Opfer gefallen sein. Er setzt alles daran aufzuklären, was mit ihr seitdem geschehen ist.
Robert Mitterwallner | Amazon | Thalia
Sie waren zu fünft, hatten sich untergehängt und marschierten barfuß im Gleichschritt auf dem festen Sand des Weststrandes. Heute war die Nacht sternenklar und das Meer sanft; es gab Meeresleuchten. Die Leuchtpunkte tauchten an einer Stelle plötzlich auf, verschwanden wieder, woraufhin man sie wieder an einer anderen Stelle sah. Es gab Tausende davon.
Die Sahneseite der Insel Sylt, die Westküste, hat einen ganz besonderen Charme. Es ist eine Mischung aus unendlich langen Sandstränden, der immer frischen, salzhaltigen Luft, die der Westwind von der Nordsee heranträgt, und den unermüdlich anbrandenden Wellen. Es gibt hier keinen Schutz gegen die Gewalten der Natur, wenn man mal von den tonnenschweren Betonblocksteinen, Tetrapoden genannt, absieht, die hier und da den Sand am Strand halten und die Wellen brechen sollen.
Tina war fasziniert, strich mit ihren Füßen mit Absicht durch den Sand und freute sich diebisch, wenn an der gleichen Stelle die lumineszierenden Organismen als leuchtende Punkte wieder sichtbar wurden.
Ihr geträllertes Lied war leicht und eingängig: »Ein Hut, ein Stock, ein Regenschirm, vorwärts, rückwärts, seitwärts, stopp, et cetera.« Wenn man bedenkt, dass in der Kajüte vor Kurzem der eine oder andere Pilsstiefel und jede Menge Saure über den Tresen gingen, waren sie doch recht textsicher. Aber das interessierte im Moment niemanden. Während alle nach Herzenslust grölten, hörte keiner auf den anderen.
Die Jugend war ihr Verbündeter. Alle fünf waren 18 Jahre alt und hatten sich in diesem Sommer am Strand kennengelernt. Es gab keine Sorgen, keine Pflichten, keine Ausgangsverbote. Sie waren frei und ließen sich treiben wie die Wellen, die von einer permanenten und un-sichtbaren Macht getrieben wurden. Sie fühlten sich unbändig stark.
Im gleichen Maß, wie nach der Umrundung der Hörnumer Südspitze der Morgen langsam dämmerte, überkam sie eine bleierne Müdigkeit, weshalb sie sich dann in alle Richtungen trenn-ten.
Tina stand wenig später oben an der Haupttreppe, die nach Westen direkt hinunter ins Meer führt. Sie ließ sich von der sanften Brise, die ihr Gesicht streichelte, bereitwillig wieder ausnüchtern. Sie dachte an Alex und umfasste die Bernsteinkette an ihrem Hals.
Schritte hinter ihr rissen sie aus diesen schönen Gedanken. Ihr wurde mulmig. Die Schritte kamen näher. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter.