
Man nennt mich ein mordendes Monster, doch erstens töte ich nicht um des Tötens willen, zweitens gibt es keine Zufälle, und drittens entwickle auch ich mich weiter.
Eigentlich habe ich Patricia nur zu mir geholt, um mir über meine eigenen Bedürfnisse klar zu werden. Ich will wissen, ob mein bisheriger Lebensweg noch dem entspricht, was meine Seele will. Die junge Frau erschien mir am Anfang wie ein kleines unscheinbares Pflänzchen, aber ich habe Erfahrung damit, wie man die Wurzel eines Menschen freilegt. Die Leute da draußen nennen es Wahnsinn. Ich hingegen bevorzuge den Begriff Öffnen. Ich öffne jemanden, damit er erkennen kann, wer er selbst ist.
Vor Patricia und mir liegt nun eine Zeit, in der wir uns ganz der Selbstfindung hingeben werden. Wohin es führen wird, weiß keiner, doch genau das macht es so spannend. Natürlich wird man sie suchen. Aber auch das gehört zu meinem Leben, und damit kann ich umgehen.
Mark Franley | Kindle | Taschenbuch
Metamorphose. Das Wort geht mir seit Tagen durch den Kopf. Meine Zeit in der Hütte, in der ich dem FBI-Fahnder William Carter seine Schmerzgrenzen aufgezeigt habe, hat mich verändert.
Mein Blick sucht den Fernseher in der Ecke, auf dem tonlos ein Nachrichtensender läuft. Die Abstände werden länger und doch zeigen sie immer wieder einmal das schlechte Foto von mir. Es entstand bei Regen, aufgenommen von einer kleinen Insel aus – und selbst mit moderner Technik haben sie es nicht scharf bekommen.
Jetzt sind meine Haare länger, der Bart ist ab und bevor ich meine Unterkunft verlasse, schminke ich mich. Selbst die Besitzer dieses über Airbnb vermieteten Hauses haben den falschen Ausweis akzeptiert und denken, sie haben an einen jungen Mann namens Philipp Holester vermietet. Ich beglich die Kaution plus die Miete für drei Monate mit einer Prepaid-Kreditkarte und wünschte ihnen eine schöne Weltreise.
Es ist mein erster Besuch in Albuquerque. Zugegeben, es gibt in den USA eindrucksvollere Ecken, aber dieser Bundesstaat hat auch seine Vorteile. Einer davon ist, dass man hier keine Todesstrafe fürchten muss. Außerdem sind die Leute freundlich. Zwar verlogen wie überall, aber eben auch freundlich.
Nicht dass mir das wichtig wäre, aber ich muss meinen Kopf noch eine Weile unten halten.
Was mich allerdings nervt, ist der Ausblick durch die große Panoramascheibe. Der Garten mit Pool ist in Ordnung. Es ist diese karge Landschaft, die gleich hinter der Grundstücksmauer beginnt und mir nicht gefällt. Aber ich werde ja nicht ewig hierbleiben. Und vielleicht hilft mir der trostlose Ausblick auch bei dieser Metamorphose, die mir die ganze Zeit im Kopf herumgeistert.
Irgendetwas stimmt nicht mit mir und ich kann nicht so richtig begreifen, was es ist. Vor der Sache in Kanada hatte ich Spaß daran, Menschen ihre innersten und wahrhaftigsten Gedanken und Gefühle vor Augen zu führen. Der Weg dahin endete zwar stets im Tod, doch vorher offenbarte ich ihnen ihren wahren Kern. Und danach dankte ich es ihnen damit, dass ich ihre Körper in Schönheiten verwandelte. Ich zeigte sie so, wie sie zu Lebzeiten nie sein durften.
Diese Aufgabe hat mir immer Spaß gemacht, doch jetzt fühle ich mich leer.
Ich hoffte, meine Passion durch Patricia wiederzufinden. Sie ist eines dieser Mauerblümchen, die es überall gibt, und sie fiel mir gestern sofort ins Auge.
Es lag an ihrer Art, wie sie sich in dem Diner für alles entschuldigte und sich von unzufriedenen alten Männern wegdrängeln ließ.
Ich war wieder als junger Mann unterwegs, der kein bisschen dem schlechten Fahndungsfoto glich, mit dem das FBI nach mir sucht. In dieser Hinsicht verstehe ich die Frauen. Es ist einfach Wahnsinn, was mit Schminke alles möglich ist. Und so wurde ich optisch von einem Vierunddreißigjährigen zu einem Endzwanziger … auch wieder so eine Metamorphose. Diese aufwendige Verwandlung wird auf Dauer nicht nötig sein, aber im Augenblick halte ich es für sicherer.
Wie auch immer. Diese Patricia liegt jetzt schon seit Stunden nebenan auf dem großen Esstisch und ohne ihre hässlichen Klamotten sieht sie eigentlich ganz annehmbar aus. Aber natürlich könnte ich diesbezüglich auch noch einiges aus ihr herausholen. Zuerst ihre wahren Wünsche und Sehnsüchte und dann sogar noch mehr Schönheit. Doch mir ist nicht danach – und genau das verwirrt mich.
Mein Blick wendet sich abermals der Welt da draußen zu, und so wie alles in der Welt eine Bedeutung hat, so auch dieser Pool. Nicht für andere, aber für mich. Denn an so einem Pool begriff ich die wahre Bedeutung von Macht. Für einen kurzen Moment bin ich wieder der kleine Junge, der seinen Vater dabei beobachtet, wie er die Tochter des Poolbesitzers erst vergewaltigt und dann ertränkt. Anders als mein Dad erlangte ich durch seine Tat Stärke. Er konnte damit nicht umgehen und erhängte sich kurz darauf. Für mich war es dagegen der Beginn eines wirklich erfüllten Lebens.
Das leise Stöhnen der jungen Frau holt mich aus meinen Gedanken und damit auch zurück zu meinem Problem. Ich weiß nicht, warum ich keine Lust darauf habe, sie seelisch zu öffnen. Aber ich kann sie auch nicht einfach so liegen lassen, denn das wäre Verschwendung. Daher trinke ich noch einen Schluck Cola und gehe hinüber.
Obwohl die Klimaanlage läuft, kleben ihre relativ kurzen schwarzen Haare schweißnass auf der Stirn. Sie schwitzt überhaupt sehr stark, was mir erst jetzt auffällt. Und noch etwas ist meiner Aufmerksamkeit entgangen. Früher achtete ich akribisch darauf, dass sie unverletzt und ohne Abnutzungserscheinungen bleiben, doch bei ihr ist mir das egal. Daher habe ich keinen Stoff unter die Fesseln gelegt, was ihre Haut an den Hand- und Fußgelenken leiden ließ.
Ihre großen braunen Augen sind geöffnet und wandern unruhig umher.
Ob ich mit ihr reden sollte? Vielleicht versteht sie mein Problem und kann mir einen Tipp geben?
Ich stelle mich neben ihren Kopf und habe die Hand gerade an ihrem Knebel, als uns beide die überlaute Türglocke erschreckt. Bei ihr sehe ich Hoffnung im Blick, ich bin dagegen nur ein wenig überrascht.
Nach dem zweiten Glockenton klopft jemand lautstark an die Tür und ruft dabei: »Mister Holester, sind Sie hier? Ihr Auto steht in der Auffahrt. Ihr Vermieter Mister Petersen hat mich gebeten, regelmäßig nach dem Pool zu sehen.«
Was für eine Scheiße, denke ich. Wer auch immer da draußen steht, meint mit Mister Holester mich, denn so steht es in meinem falschen Ausweis. Allerdings bin ich gerade nicht als junger Mann geschminkt und habe stattdessen eine nackte Frau auf dem Esstisch liegen.